DIN im Wandel –
welche rolle spielt die Baunormung?
Die Zahlen sind beeindruckend: Über 36.000 Experteninnen und Experten bringen ihr Wissen in 34.000 Normen beim Deutschen Institut für Normung (DIN) ein. Allein im Normenausschuss Bauwesen (NABau), dem größten der 69 DIN-Ausschüsse, arbeiten rund 2.700 Experteninnen und Experten in 400 DIN-Gremien an rund 2.600 Normen. Träger, Impulsgeber und Finanzierer der Normung ist vor allem die Wirtschaft. DIN ist im Wirtschaftsgefüge für die Koordination der Normungsarbeit und die Vermarktung der Normen zuständig. Eine historisch gewachsene Struktur, die sich bewährt hat.
b.schaefer@bvbaustoffe.de
Neue Governance-Struktur unterstützt top-down-ansatz
Alles in bester Ordnung – könnte man meinen. Doch der Schein trügt: DIN begehrt auf, will nicht mehr nur die Plattform bereitstellen, sondern aktiv das Programm bestimmen, sich mit der Politik vernetzen und Einfluss nehmen – auch global. Abzulesen sind diese Ambitionen an einem DIN-Reformprogramm, das derzeit vorbereitet und u. a. zu einer erweiterten Governance-Struktur und einer Finanzreform führen wird. Die neue Governance-Struktur dient u. a. dazu, die Impulse des vom Bundeswirtschaftsministerium neu eingerichteten „Deutschen Strategieforums für Standardisierung“ aufzugreifen und umzusetzen. Das Strategieforum ist ein High-Level-Gremium, in dem sich Wirtschaft und Politik über Grundsätze und Zukunftsthemen der Normung austauschen. Für den bbs ist der Technikausschussvorsitzende Torsten Schoch, der den bbs auch im DIN-Präsidium vertritt, in das Gremium berufen.
Mit der neuen Governance-Struktur wird der bisherige Bottom-Up-Ansatz, bei dem die Impulse für neue Normen unmittelbar aus der Normungsarbeit kommen, in einen Top-Down-Ansatz umgekehrt: Normenaufträge sollen mit Blick auf politische Entwicklungen und das Deutsche Strategieforum festgelegt und durch ein Managementboard an die Normenausschüsse delegiert werden. Die Wirtschaftsakteure in der Normung werden so zu Auftragsempfängern, die Eigenständigkeit der Normenausschüsse geht verloren. Um die „Unternehmensziele“ zu erreichen, will DIN darauf aber keine Rücksicht nehmen. Denn es hat sich gezeigt, dass die Normenausschüsse bei der Annahme neuer Normenprojekte ansonsten zu kritisch vorgehen. Um die Bedarfe und Lücken im Normenwerk aufzuzeigen, erstellt DIN zudem in Eigenregie oder als Auftragsarbeit sogenannte Normungsroadmaps. Sind die Normenausschüsse nicht freiwillig bereit, die ermittelten Lücken zu schließen, soll die neue Governance-Struktur zu Verbesserungen beitragen.
Finanzreform unterstützt Umverteilung von ausschussmitteln
Doch die Ausrichtung der Normung auf europäische und internationale politische Strömungen kostet Geld. Die bisherige Eigenfinanzierung der Normenausschüsse soll daher mit der DIN-Finanzreform FINA25 zugunsten eines Gesamtfinanzierungstopfes aufgegeben werden. DIN kann die Gesamtmittel dann flexibel einsetzen und Überschüsse zugunsten unterfinanzierter Projekte umverteilen. Unterfinanziert sind Projekte regelmäßig dann, wenn sich die Wirtschaft nicht ausreichend einbringt oder wenn Querschnittsthemen – wie Circular Economy – nicht einzelnen Normenausschüssen zugeordnet werden können. Doch gerade Querschnittsthemen eröffnen DIN ein breites Spektrum neuer Projekte und sollen daher angeschoben werden. Mit FINA25 werden zudem die Beiträge für die Mitarbeit in Normenausschüssen merklich erhöht. Dass die Beitragserhöhung in wirtschaftlich schwierige Zeiten fällt, stellt für DIN keine Hürde dar.
Natürlich gibt es Kritiker, die z. B. darauf verweisen, dass Normungsarbeiten u. a. im NABau derzeit kaum zielführend sind, da die EU-Kommission seit 2018 keine harmonisierten Produktnormen mehr veröffentlicht hat und dies auch erst unter der neuen Bauprodukte-Verordnung wieder in Erwägung zieht. Der vom DIN hervorgehobene „Nutzen der Normung“ ist im Baubereich also seit Jahren kaum mehr erkennbar. Im Gegenteil, die veralteten Normen werden zum Problem, da sie nicht mehr den Stand der Technik beschreiben, aber angewendet werden müssen. Der NABau ist zudem auskömmlich finanziert und wird so unter FINA25 als Mittelgeber für unterfinanzierte Projekte herangezogen werden, obwohl gerade internationale Entwicklungen kaum im Fokus des Ausschusses stehen.
Prominente Kritik kommt auch vom Bundesbauministerium. Die Normenflut sei unüberschaubar und überfordere die Baubeteiligten. Zudem seien die Anforderungen in Baunormen über die Jahre hinweg gestiegen, wodurch die Normen dazu beitrügen, dass bezahlbares Bauen in Deutschland kaum noch möglich ist. Das Ministerium drängt darauf, überflüssige Anforderungen zu streichen und in zukünftigen Baunormen klar zwischen Mindestanforderungen und erhöhten Anforderungen zu differenzieren. Die Umsetzung der Mindestanforderungen soll zur Dämpfung der Baukosten beitragen.
Gemeinsam mit anderen Ministerien geht das Bauministerium sogar noch einen Schritt weiter und will die Idee vom „Gebäude E“ rechtlich umsetzen. Was genau das Gebäude E kennzeichnet, ist noch unklar, doch über den Weg dorthin scheint inzwischen Einigkeit zu bestehen: Das Baurecht soll so angepasst werden, dass die Anforderungen der Baunormen nicht erfüllt werden müssen, wenn sich Anbieter und Bauherr einig und die gesetzlichen Mindestvorgaben eingehalten sind.
Es bleibt abzuwarten, wann die unterschiedlichen Orientierungen von DIN, Politik und Wirtschaft wieder in eine gemeinsame Richtung zielen. Bei seinen Reformen sollte DIN aber im Blick behalten, dass der NABau zentraler Pfeiler der DIN-Struktur ist und viele Baunormen im Bauregelwerk verbindlich verankert sind – auch wenn sie keine internationale Orientierung haben oder politische Strömungen bedienen.
Links
↗ EU: Trilog-Ergebnis zur Bauprodukte-Verordnung
↗ DIN: Finanzreform FINA25
Botschaften
‒ Brückenlösung für Umstellung auf neue Bauprodukte-Verordnung schaffen
‒ Überforderung der Industrie durch neue Vorgaben vermeiden
‒ Digitalisierung im Bauwesen stärken